Wie eine Idee ein Leben veränderte
Margarete Steiff
Die in Giengen an der Brenz geborene Margarete Steiff erkrankte im Alter von zwei Jahren an der damals unbekannten und daher unheilbaren Kinderlähmung. In den Augen der Umwelt war an eine Verheiratung nicht zu denken. Die Handwerkertochter musste ihren Lebensunterhalt mit körperlicher Arbeit verdienen, auch wenn ihre Beine und ihr rechter Arm gelähmt waren und das Häkeln, Stricken und Nähen eine schmerzhafte Prozedur darstellten. Doch Margarete war gerne in Gesellschaft, vital und unerschrocken, sie hatte die nötige Portion Gottvertrauen, Liebe zum Leben und den Humor, um nicht zu verzweifeln. So startete sie in ein für eine Frau jener Zeit absolutes Ausnahmeleben.
Mehrere Heilungsversuche schlugen fehl. Über ein Jahrzehnt musste das auf einen Rollstuhl angewiesene Mädchen als Lohnnäherin durchhalten. Mit der Unterstützung ihres Vaters und ihres Vetters Hans Hähnle, des Gründers der ortsansässigen Filzfabrik, avancierte sie zur kleinen Textilunternehmerin. Dann entwickelte sie ihre grandiose Geschäftsidee: weiches und flauschiges Spielzeug. Tiere aus Filz, nicht nur als Spielkameraden, sondern auch als Helfer und Tröster für die kindliche Seele. Das war das gänzlich einfühlsame pädagogische Konzept einer Frau, die ihre eigene Kindheit nicht vergessen hatte. In der gab es kein Spielzeug, und Spielen wurde als Zeitverschwendung verachtet. Niemand vor ihr nahm den kindlichen Wunsch nach Nähe und Wärme so ernst.
Margarete Steiff betrat unternehmerisches Neuland. Wenn ihr Firmenmotto lautete: »Für Kinder ist nur das Beste gut genug«, meinte sie damit den ideellen Wert und den qualitativ überragenden Standard ihrer Produkte.
Geprägt durch eine Frömmigkeit, die ganz in der Tradition des evangelischen Glaubens in der täglichen Arbeit auch immer die Arbeit »im Weinberg des Herrn« sieht, blieb Margarete Steiff bis zu ihrem Tod aktiv in ihrem Unternehmen. Dabei war sie musikalisch und genoss die Feste in Familie und Firma. Ihre besondere Leidenschaft galt dem Reisen. Der Traum, sich schwerelos fortzubewegen, begleitete sie ein Leben lang. Sechs Nichten und Neffen bezog sie in die Firma ein. Richard, der älteste und kreativste, den die Tante zum Kunststudium nach Stuttgart geschickt hatte, kreierte den berühmten Teddy, bis heute Inbegriff einer unbeschwerten Kindheit.
Als die Firma Steiff sich auf dem internationalen Markt etablierte, wurde die Industrielle zur wichtigen Arbeitgeberin vor allem für junge Frauen in der Region. Ihnen bot sie eine neue selbstständige Lebensperspektive. Jahre vor den Entwürfen der architektonischen Avantgarde begrüßte Margarete Steiff das neue Jahrhundert mit ultramodernen Produktionsgebäuden aus Glas und Stahl. Millionen fröhlicher Plüschtiere und Filzpuppen mit dem berühmten »Knopf im Ohr« brachten das »Alles ist möglich« der Gründerzeit auf den Punkt und spiegelten Margarete Steiffs fundamentale Lebensbejahung. Nur keine Schwäche zeigen, war das Fazit, das sie aus ihrem schwachen Körper zog.
Von Gabriele Katz – Die promovierte Kunsthistorikerin und Historikerin lebt als freie Autorin in Stuttgart und Halle. Ihr Buch »Margarete Steiff. Die Biografie« erschien 2011 im Osburg Verlag (Taschenbuchausgabe 2015, Der Kleine Buch Verlag).
Inspirierende Fakten

Margarete Steiff (1847-1909) saß zeitlebens im Rollstuhl. Schon als Kind war ihr Wille stärker als ihre körperliche Einschränkung. Mit dieser Willensstärke brachte sie es nicht nur zur Näherin, sondern zur erfolgreichen Unternehmerin. Ihre Stofftiere wurden zum Renner.
24. Juli 1847 in Giengen an der Brenz
Cathrine Dersch, Anne Kronenberg, Hochschule Macromedia, University of Applied Sciences Stuttgart