Ditzingen ist für mich alte und neue Heimat

Ditzingen ist für mich alte und neue Heimat. Meine Mutter sagt, ich sei in fünfter Generation Ditzingerin, weil ihre Urgroßmutter väterlicherseits in Ditzingen aufgewachsen sei. Fast zwanzig Jahre war ich weg, in Berlin, Stammheim (nein, nicht im Knast), Renningen, Murrhardt, um jetzt vor wenigen Jahren wieder zurückzukehren. Das erste, was mir aufgefallen ist, ist, dass Ditzingen größer und voller geworden ist. Früher bekam ich immer einen Parkplatz im Städtle, mittlerweile ist es eng geworden. Natürlich sind mir noch viele andere Sachen aufgefallen, die sich verändert haben, und aufgrund dieser Erfahrung des Veränderns habe ich entschieden, mir Geschichten von früher erzählen zu lassen von den alten Ditzingern. Auf diese Weise habe ich zum Beispiel erfahren, dass hier eine Tochter des Flugzeugpiloten lebt, der Stauffenberg am Tag des Attentats zur Wolfschanze geflogen hat. Und meine Mutter hat erzählt, dass der Opa einer alten Freundin im zweiten Weltkrieg in Russland gewesen sei. Dort fuhr er mit einem LKW nachts auf einer Straße, als plötzlich eine Weiße Frau vor ihm auftauchte, weshalb er den Wagen anhielt. Als er ausstieg, war die Frau verschwunden, aber vor ihm tat sich ein riesiger Bombenkrater auf. Meine Mutter sagt, dass der Mann diese Geschichte immer wieder erzählt habe und sich auch nicht von der Weißen Frau habe abbringen lassen.

Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass ich Texterin bin, dass Geschichten also zu meinem beruflichen Alltag gehören. Aber es ist doch anders, wenn es um die eigene Heimat geht, denn durch die alten Geschichten erlebe ich meine Heimat neu, als schlösse sich ein Kreis, ist doch seltsam, oder? Kürzlich war ich in einem Haus – bei einer alten Bekannten meiner Mutter – in das die Hausfrau eine Tür aus ihrem Elternhaus mitgenommen hat, damals, als sie mit ihrem Mann das Haus gebaut hatte. Ihr Elternhaus war ein Bauernhaus, die Tür hat uralte schmiedeeiserne Beschläge und einen handgeschmiedeten Schlüssel, super, echt.

Nun bin ich gespannt, welche Geschichten sich noch auftun werden, und ob ich eines Tages ebenfalls erzählen werde, vom alten Ditzingen in den 70er Jahren, von dem Tante-Emma-Laden, in den ich als Kind geschickt wurde und von der Eisdiele Moser, als die Kugel dort zehn Pfennig kostete, und ich mir nie hätte träumen lassen, eines Tages ein Eis für eine ganze Mark zu essen. Von der alten Wilhelmschule oder von der Metzgerei Klein, wo man als Kind immer etwas geschenkt bekam, was mir noch heute in den Ohren hallt: »Willsch dei Würschtle glei essa oder soll i's eipacka?« Ganz schön nostalgisch, echt. Und ganz schön wunderschön.