Was wäre, wenn ...

... ich in eine andere Familie hineingeboren worden wäre? Diese Frage stellt sich mir zuweilen immer noch, obwohl ich bereits 72 Jahre alt bin und mein Leben weitgehend »gelebt« habe.

Meine Eltern waren Landwirte und hatten so ziemlich alle Tiere wie Schafe, Pferde, Kühe, Schweine, Hühner, Hunde …, die Futter brauchten und die es zu versorgen galt. Als einziges Kind wuchs ich in dem Bewusstsein auf, dass man immer zu arbeiten hatte; im Sommer auf dem Feld, im Winter mussten tagsüber die Schafe gehütet werden.

Als ich in die 4. Grundschulklasse ging, verlief der Nachhauseweg meines damaligen Lehrers an unserem Wohnhaus entlang und so oft dieser Pädagoge ein Elternteil sah, pflegte er nachdrücklich zu betonen, dass man »das Mädle« unbedingt in eine weiterführende Schule schicken müsse. Dieses Ansinnen führte schließlich zum Erfolg.

Mit zwei weiteren Mitschülerinnen ging ich fortan in die Mittelschule, wie man die Realschule damals nannte. Bereits in der 1. Klasse der Mittelschule (5. Klasse) lag mir meine damalige Lehrerin damit in den Ohren, ich solle ihr mal meinen Vater schicken. Dass sie mich für den Wechsel ins Gymnasium empfahl, stieß jedoch bei meinem Vater auf taube Ohren. Man hatte ja daheim genug Arbeit und ein Mädle soll lieber »was Gscheits« machen. Zu dem Zeitpunkt übernahm ich diese Ansicht widerspruchslos.

Wann ich genau zu der Einsicht kam, dass ich mich hätte mehr um einen Beruf im journalistischen Bereich kümmern sollen und diesen konsequent verfolgen – das kam mir sehr viel später, zu spät, in den Sinn.

In der Familie meines Mannes habe ich später genau das Gegenteil erlebt; dort wurden die Kinder gefördert, ihnen alle Chancen ermöglicht, was ich mit einem gewissen Neid registrierte.

Unseren Kindern versuchte ich später ständig klar zu machen, dass sie lernen sollen, alle Zeit der Welt hierzu hätten und alle Unterstützung seitens der Eltern bekämen – die ich nie hatte.

Übrig geblieben ist meine Lust am Schreiben, Lesen und an Sprachen lernen und ich bin nach wie vor neugierig auf Neues. Immer wieder schleicht sich aber die Frage ein:

»Was wäre gewesen, wenn …«

Jadwiga, Dettingen