Auftakt zum Projekt #sprichklartext der KulturRegion Stuttgart bei "Ethik in der Region" im Hospitalhof am 30.6.2017

#sprichklartext

Gruppen-Poem »Das Rad«

Das Gruppen-Poem wurde in einer Poetry Slam Werkstatt gemeinsam mit Wortkünstler Timo Brunke erarbeitet und als Auftakt des Projekts #sprichklartext der KulturRegion Stuttgart am 30.06.2017 bei der Veranstaltung ›Ethik in der Region‹ des Dialogforums der Kirchen im Hospitalhof Stuttgart präsentiert.

Das Rad, das Rad, das Rad;
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad! 
Das Rad, das Rad, das Rad; 
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad!

»Ich suche guten, gutgemeinten Rat, Herr Advokat.« 
          Doch: dass ich Rat bei ihm mir hol, ist das ne gute Tat?

Das Lebensrad, das Rad des Glücks, was ist das für ne Fahrt? – 
Manchmal fahrn wir flüssig und geschmeidig, moderat, 
          Manchmal stockt das Rad auf voller Fahrt – so ein Verrat!


1. Im Riesenrad

Ich, 19 Jahre, erfolgreich, steige ein. Eine hübsche Kabine. 
   Es läuft Mendelssohn-Bartholdy-Musik. 
So steige ich wie die Sterne. Ich komme hoch hinauf 
   und versinke in der Schönheit der Welt. 
Alles blitzt, die Fenster der Hochhäuser leuchten 
   im Licht der untergehenden Sonne.

Ich betrachte die Welt von oben. 
          Das Gewirr da unten, das geht mich alles nichts weiter an, 
während ich mir auf dem Scheitelpunkt des Riesenrads 
          die Krawatte zurechtrücke. 
Ich sage schon: »Da muss doch jemand etwas tun!« 
          Ansonsten. 
Dann folgt der Abstieg, das Riesenrad dreht sich weiter, 
          meine hübsche Kabine senkt sich.

Allmählich leidet die Übersicht und mit ihr meine innere Ruhe. 
   Und während der Weitblick vor meinen verwöhnten Augen 
          immer rascher verlorengeht, springen mich einzelne Bilder an, 
                 knapp unter mir, in den Straßen der Stadt, aus deren Gewirr 
                        mich das Riesenrad emporgehoben hatte.

Aber jetzt kommt mir alles so nah, viel zu nah  
Alarm!


Das Rad, das Rad, das Rad;
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad! 
Das Rad, das Rad, das Rad; 
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad!

Das Plakat im Rektorat zeigt ein geschöntes Resultat; 
          Das Leben der Piraten weiß am Ende keinen Rat.

Wann platzt mein eigenes Schicksal wie ne Erbse untem Rad? 
          Und wer bin ich ohne Konrad? ein defekter Apparat!


2. Lenkrad

Mit 10 kam ich auf's Gymnasium. 
          »Du bist unsere Zukunft!«, sagten sie. 
»Du wirst so viele neue Freunde finden!«, sagten sie. 
          »Deine Schuhe sind grässlich«, sagten sie.

Versteht mich nicht falsch – ich möchte eure Erwartungen nicht platzen lassen, 
          aber wie soll ein Kind leben, wenn ihm die Zukunft ausgesaugt wird?
Alles vorgekaut, immer derselbe Kreislauf. 
          »Mach' uns stolz, du wirst Chirurg, 
                 komm bloß nicht als Künstler nach Hause, 
                        das bringt kein Brot.«

Wann weiß ICH, welche Richtung ich einschlagen soll? 
          (Was weiß ich, wie viel es kostet, wenn ihr mich anklagen wollt. 
                 Wer verbleibt in dem Rad, das sich Leben nennt?

Wer bricht aus der grauen Menge, wenn sie die Überhand behält?) 
          »Du bist noch zu jung, wenn du älter bist, wirst du's verstehen.« 
                 Natürlich, in 10 Jahren ist auch globale Erwärmung kein Problem.

Ich hab's satt. 
          Wann bin ich Herr meines Steuers? 
                 (Wer will mir sagen, wann ich alt genug bin, 
um den Unterschied zwischen erdrückenden Wänden 
          und einer nötigen Wende zu erkennen?)

Ich nehme mein Lenkrad in die Hand. 
          Eine schnelle Drehbewegung, Perspektivenänderung, 
                 ich beschleunige

und halte beim nächsten Schuhladen an.


Das Rad, das Rad, das Rad;
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad! 
Das Rad, das Rad, das Rad; 
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad!

Das Rad, das Rad, das Rad – 
          Kann es immer weiterfahren auf demselben Pfad? 
Der Staub wirbelt auf, umwickelt den Kamerad, 
          es rattert, es stockt! Hilfe, schnell, das Duplikat!

Hörst du's knirschen? Heimlich überrollt es die frische Saat. 
          Seine Spur dort im Sand, schau an, ein echtes Zitat! 
Wir schubsen es an und beten: verübe ja kein Attentat...


3. Fortunas Rad

Alles dreht sich um GUT. Gut ist besser. Besser ist Glück. 
Am Rad drehen bringt uns alle weiter. 
Fortunas Rad bringt mir Erfolg, das war der Ratschlag meines Großvaters.

Leider kam er kurz danach beim Rad Schlagen um. 
Wodurch Fortunas Rad das Radschlagen wohl doch nicht schlagen konnte.

Außer Opa. Er war sozusagen beim Radschlag mit dem Rad geschlagen. Fortunas Rad. 
Glück ist nichts Natürliches. Es fällt uns zu. Wenn die höheren Mächte das so wollen.

Die Manager zum Beispiel. Es wird einem immer geraten, 
          viel Vitamin B zu sich zu nehmen; 
die Vitamin-B-Tabletten rollen wie kleine Rädchen Fortunas über den Tisch;

doch ich versuche zu erraten, 
          ob Fortunas Rad es am Ende nicht doch gut mit mir meint. 


Das Rad, das Rad, das Rad;
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad! 
Das Rad, das Rad, das Rad; 
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad! 

 

4. Das Fahrrad

Das Fahrrad, ein Erbe aus der Goethezeit, 
   und ein schönes Symbol für Nachhaltigkeit.
Dieses Muskelkraftfahrzeug hat nicht nur seine Bedeutung 
   für die ökonomische und ökologische Nutzung, 
          sondern spielt eine wichtige Rolle 
                 für unser traditionelles und kulturbereichertes Leben.

Fast jeder Mensch hat eine Erinnerung mit diesem Menschenwunder. 
          Und manche können heute ohne ein Fahrrad nicht leben. 
Seine Umweltfreundlichkeit gibt uns die Kraft und die Motivation, 
          dass wir ein umweltbewusstes Leben führen sollten. 
Das vorbildhafte Fahrzeug gibt der Gesellschaft 
          im Leben neue Facetten und Laufwege.
Bei keiner anderen Erfindung ist das Nützliche mit dem Angenehmen 
          so innig verbunden wie beim Fahrrad. 


Das Rad, das Rad, das Rad;
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad! 
Das Rad, das Rad, das Rad; 
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad!

Probleme zu wälzen, macht man gern erstmal privat. 
          Doch wenn viele, viele Räder rolln, gibts einen Apparat, 
beginnt der sich zu drehen, kommt es leicht zu nem Diktat;

Denn verfolgt der ganz von selber, von alleine seinen Pfad, 
          und ist der erst in Schwung gebracht und rast in voller Fahrt – 
wer hält ihn auf, wer kriegt noch für das Puffern ein Mandat? 
          Verfängt sich in den Speichen, du lieber Gott, dein Bart?


5. Carch

Carch hat auf Deutsch zwei Bedeutungen: »Nähmaschine« und »Rad«.

Weil ich ein guter, integrierter Flüchtling bin, finde ich es wichtig,

viele Geschichten aus meinem Heimatland zu erzählen.

In Afghanistan ist das so: Mädchen, die gut nähen können, haben viel bessere Chancen

auf dem Heiratsmarkt, als wenn sie klug oder hübsch sind.

Deshalb möchten viele Mädchen ganz früh die Arbeit mit Carch lernen.

Ein gutes Mädchen ist das, das viele genähte Stoffe vor ihrer Hochzeit gefertigt hat.

Damit kann sie das Haus ihres Mannes gut gestalten.

In Afghanistan werden viele Haushaltssachen mit Carch gemacht.


Das Rad, das Rad, das Rad;
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad! 
Das Rad, das Rad, das Rad; 
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad! 
 

Das Rad, der Rat – die ganze Welt munkelt:
          Ist es das Rad, das uns alle überrumpelt? 
Es ist im Stau, es rattert, es stockt,
          Es knirschte, es fährt, es stottert, es stoppt.

Das Rad ist sehr zart, doch manchmal auch hart, 
          Voll bei 2 Pi oder drei, sechs, null Grad, 
es dreht sich, es kreist um die eigene Achse, 
          die Form ist sehr bekannt, wie unsre eigene Tasche – 
Ist es der Rat, der Entscheidungen fällt 
          oder das was sich so wie ein Reifen verhält?


6. Mein Glücksrad

Mein Glücksrad steht nicht auf dem Jahrmarkt. 
Mein Glücksrad steht nirgends, es reist um die Welt. 
Das Glück ist ein Phänomen, ein Etwas das auf einem Wagen mit vier Rädern thront. 
Die Räder tragen es über Schlafbetten, Flussbetten, Himmelsbetten. 
Es sitzt – Manch einer behauptet im Schneidersitz – auf dem Wägelchen 
und reist von Planet zu Planet, von Land zu Land, von Mensch zu Mensch, 
von Bewusstsein zu Bewusstsein. 
Dort setzt es sich fest, doch für wie lange kann Keiner sagen. Es existiert kein Foto, 
kein Beweis. Jedes Lebewesen welches das Glücksrad besuchte, beschreibt es anders. 
Die Einen fühlen ein Kribbeln im Bauch, Andere ein Kribbeln im Kopf. 
Ein Kribbeln, das dir zeigt: du lebst! 
Manchmal überrollt dich das Glück auf seiner Fahrt; es naht aus dem Nichts, 
begräbt dich unter seinen Rädern: du erleidest einen Glücksmoment.

Oder es streift dich nur leicht, wie ein Windhauch der vorüberzieht und versichert: 
es gibt mich wirklich, ich bin da.

Doch egal auf welche Art es dich berührt, die Räder die das Glück tragen bleiben niemals stehen. 
Sie rattern, rollen, ziehen immer weiter. Sie waren überall und werden überall sein. 
Und was bleibt ist mein Glück, dein Glück, euer Glück. 
Wir alle nähren uns von dem Kribbeln, als es uns streifte. 
Mein Kribbeln, dein Kribbeln macht uns zu Brüdern und Schwestern, 
zu den Söhnen und Töchtern Adams.


Das Rad, das Rad, das Rad;
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad! 
Das Rad, das Rad, das Rad; 
          es rollt, die Räder rolln, es rollt das Rad!



                                                            Amina Baalbaki, Ditzingen
                                                            Alessio Cicciarella, Ditzingen
                                                            Natalie Ehrhardt, Ditzingen
                                                            Kaja Gräter, Stuttgart
                                                            Ali Soltani, Schwäbisch Hall
                                                            Sadiq Zartila, Schwäbisch Hall