Prof. Dr. Heiko Girnth

Sprache und Politik

Sprache ist nicht nur irgendein Instrument der Politik, sondern überhaupt erst die Bedingung ihrer Möglichkeit. Mit Hilfe von Sprache werden politische Handlungen vorbereitet, legitimiert und argumentativ ausgehandelt. Für die politischen Akteure geht es darum, strittige Sachverhalte positiv oder negativ darzustellen, die eigene Positionen argumentativ zu stützen, sich glaubwürdig zu präsentieren und gleichzeitig die gegnerische Positionen argumentativ anzugreifen und den politischen Gegner abzuwerten. In den Printmedien, im Fernsehen, im Rundfunk und im Internet werden politische Inhalte vermittelt, kommentiert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Damit wird zugleich ein zentraler Aspekt der Politik hervorgehoben, der auch als Darstellungspolitik bezeichnet wird. Darstellungspolitik ist eine auf die Öffentlichkeit ausgerichtete Politik, die zum größten Teil massenmedial vermittelt ist. Mit der Öffentlichkeit und der Massenmedialität sind zugleich zwei der für politisches Sprachhandeln konstitutiven Rahmenbedingungen benannt. Der Darstellungspolitik steht die Entscheidungspolitik gegenüber, die in der Regel nichtöffentlich stattfindet und die bestimmte Verfahren wie zum Beispiel das Gesetzgebungsverfahren beinhaltet. Auch in der Entscheidungspolitik spielt Sprache eine wichtige Rolle, da Entscheidungen erst einmal sprachlich vorbereitet und ausgehandelt werden müssen, etwa durch Diskutieren, Kritisieren, Bewerten, Verhandeln oder Fragen und Antworten. Die Betrachtung politischen Sprachhandelns beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Sprache von Funktionsträgern wie Politikerinnen und Politikern oder auf die öffentliche Kommunikation in den Medien über Politik, sondern nimmt auch die Perspektive der einzelnen Bürgerinnen und Bürger in den Blick. Insbesondere die sozialen Medien eröffnen hier neue Möglichkeiten der politischen Partizipation.

Politisches Sprachhandeln umfasst zudem die verschiedensten Sach- und Handlungszusammenhänge und kann in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens eindringen, etwa in Form von Gesetzen, Verordnungen, Meinungsbekundungen in Polit-Talkshows, Wahlkampfreden oder mittels der Kommunikation in sozialen Netzwerken. Wörter wie Klimawandel, Atomkraft oder Stuttgart 21 erhalten politische Brisanz, da die Sachverhalte, auf die sie Bezug nehmen, Gegenstand strittiger Auseinandersetzungen in der öffentlich-politischen Kommunikation sind. Viele Wörter, die im eigentlichen Sinne nicht politisch sind, werden in bestimmten Zusammenhängen semantisch aufgeladen und erhalten dann eine zusätzliche Bedeutung bzw. Wertung. Das Wort Heimat hat eine andere Bedeutung in dem Kontext die Heimat der Elefanten als in dem Kontext die Heimat der Sudetendeutschen, wo es mit zahlreichen Zusatzbedeutungen überlagert werden kann.

So vielfältig die Formen politischer Sprachverwendung auch sein mögen, das elementare Ziel politischen Sprachhandelns ist die Persuasion, also der Versuch, mit sprachlichen Mitteln Meinungen und Einstellungen der Adressaten zu beeinflussen. Zu diesem Zwecke eignen sich in besonderem Maße Wörter, da sie nicht nur Dinge und Sachverhalte benennen, sondern zugleich auch bewerten können. Die metaphorische Benennung wirtschaftlicher Maßnahmen als Rettungsschirm, Sparpaket und Schuldenbremse, oder die Konzeptualisierung von Zuwanderung mit Hilfe der Überschwemmungs- und Eindämmungsmetaphorik in Form von Ausdrücken wie Flut, Schwemme, Strom veranschaulichen, dass mit Wörtern eine bestimmte Sicht auf die Welt vermittelt wird, die Einfluss auf das kollektive Denken haben kann. Es ist daher notwendig, politisches Sprachhandeln nicht nur wissenschaftlich zu analysieren, sondern etwa auch im Kontext der Medienerziehung zu thematisieren. Besonders in außerschulischen Kontexten werden Heranwachsende mit politischem Sprachhandeln konfrontiert, für dessen angemessene Beurteilung aber die Entwicklung einer Sprachreflexionskompetenz etwa im Deutschunterricht notwendig ist.


Prof. Dr. Heiko Girnth ist Sprachwissenschaftler und lehrt an der Philipps-Universität Marburg. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zum Thema Sprache und Politik.