Grafik: Schriftzug »Laber kein‘ Stuss« in Blau auf pinkem Hintergrund. Der Schriftzug »Schtuss« schlängelt sich in einem dreidimensional anmutenden Weiß, das an eine Nudel erinnern soll, um das blaue Wort »Stuss«.
Grafik: Schriftzug »Laber kein‘ Stuss« in Blau auf pinkem Hintergrund. Der Schriftzug »Schtuss« schlängelt sich in einem dreidimensional anmutenden Weiß, das an eine Nudel erinnern soll, um das blaue Wort »Stuss«.

Laber kein‘ Stuss


Mond aus Pappmaschee
 
Es ist drei Uhr nachts, über mir fliegt ein Mond aus Pappmaschee, hinter mir wachsen 3 Türme des World Trade Centers in den Himmel und kratzen sich. An mir läuft ein Mensch mit einem Krokodilschwanz vorbei, hält Händchen mit einem Spaghetti Monster. Ich fliege! Entlang von sich langsam ausdehnenden Dunststreifen. Wo bin ich?

Langsam, dann immer schneller lösen sich die Wolken neben mir auf und ich erkenne - das Ende der Welt. Es ist flach. Sie ist flach! »Sie ist flahaaach!« Plötzlich bäumt sich vor mir ein riesiger Mikrochip auf, Milliarden Mikroprozessoren fächern sich auf, endlose Straßen aus Silizium führen irgendwo hin. Der Chip beginnt zu flimmern, wird zum Ufo, flackert - platzt! Vor der Flammenkulisse fährt ein Taxi ein - drei Typen steigen aus, nein sieben, nein siebzehn. »Drück auf Play!« schreien sie mir zu. »Ich verstehe nicht?«, »Du sollst auf die Klingel drücken, den Kanal, du sollst den Kanal abonnieren…« ruft der eine zu mir »Wake up – work out – nein, wake up!«, der andere. Die Worte laufen aus ihnen heraus, ohne dass ich sie verstehen kann, sie setzen sich auf kleine Schafe und galoppieren davon. Eine Werbestimme haucht mir zu: »Du musst sie inhaltlich stellen, Baby! So!« Sie greift nach dem Bein eines vorbei galoppierenden Schafes, wird mitgerissen und verschwindet hinter der flachen Linie des Horizonts. Ein kalter Wind heult auf: »Lügenpresse, Mühlenfresse, kühle Blässe, Füßennessel«. Ich schaue neben mich hinunter – ein kleines Schaf steht da, wir schauen uns tief in die Augen. »Ist das das Ende?«, frage ich, »Hatten die Majas doch recht? Ist das das Ende von allem?«, »Laber doch kein Stuss!«, antwortet das Schaf und gähnt.

Laber kein‘ Stuss


Stuss kommt aus dem Jiddischen: schtus < oder auch auf hebräisch šěṭûṯ und bedeutet Unsinn, Torheit. Stuss ist nicht einfach Irrtum. Stuss ist das luftige Irgendwas zwischen Gefühl, Geraune und der Google-Suche morgens um drei Uhr. Stuss will nicht überzeugen, sondern verwirren. Wo Unrecht sich im Streit korrigieren lässt, macht sich Stuss aus dem Staub. Stuss lacht über Logik, flüstert »Denk doch selbst!« und gibt sich dabei rebellisch. 
Wie viel wiegt der Abstand zwischen Unsinn und Torheit?

Der Volkskundler Abraham Tendlau berichtet in seiner Sammlung Jüdische Sprichwörter und Redensarten (1860) von einer Lebensweisheit Frankfurter Juden: »Unrecht ist mir lieber als Stuss«. Die Idee gehe dabei auf die Sprüche Salomos in der Tora zurück. Denn dem Unrecht kann man sich widersetzen, der Narr aber bleibt bei seiner Narrheit. 
Unrecht lässt sich diskutieren. Stuss entzieht sich. Genau das ist das Problem. Wie beim Hütchen spielen, wird das Thema gewechselt, oder die Quelle, oder das Weltbild. Und je unglaublicher der Unsinn, desto sicherer fühlt man sich darin.

Verschwörungstheorien sind eine besonders elegante Form von Stuss. Sie geben dem Chaos Sinn und dem Zweifel ein Zuhause. Verführerisch einsteigerfreundlich. 

Ein berühmter Politiker drohte: »Flood the zone with shit«. 

Dem Stuss kommt man oftmals nicht mehr hinterher.

In diesem Sinne, »Chill Baby, chill!«

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